Sowohl Wahrnehmung von Marken und Produkten als auch die getätigten Kaufentscheidungen selbst werden nicht nur von expliziten und rationalen Denkprozessen getragen. Wesentlich mitbestimmt werden diese auch durch unbewusste und implizite Prozesse sowie emotionale Reaktionen, dies gilt im Besonderen für Güter des alltäglichen Bedarfs wie Lebensmittel oder Kosmetika. Über die unbewussten und implizit ablaufenden Prozesse kann das jeweilige Individuum nur begrenzt reflektieren, weswegen explizite Messverfahren wie konventionelle Fragebögen lediglich teilweise Auskunft darüber geben können. Implizite Verfahren dagegen erfassen auch unbewusste Prozesse und treffen Aussagen darüber, wie beispielsweise Markenwahrnehmung und Kaufprozesse durch diese beeinflusst werden. Eines dieser impliziten Verfahren ist die in dieser Fallstudie untersuchte Reaktionszeitmessung. Dabei wird ein Set von Aussagen oder Bildmotiven per Tastendruck zugeordnet und die Reaktionszeit in Millisekunden erfasst. Gemessen wird beispielsweise die spontane Assoziation zu einer Marke – je schneller die Reaktionszeit, desto stärker präsent ist diese Marke bei der jeweiligen Testperson.

Implizite Reaktionszeitmessung

Als Modul in einem Online-Fragebogen lässt sich die implizite Reaktionszeitmessung mit expliziten Befragungsteilen kombiniert für eine Vielzahl von Fragestellungen einsetzen. Idealtypisch sollte dieser Online-Fragebogen in allen Befragungssituationen gleich gut bearbeitbar sein. In Zeiten zunehmender Verwendung von Smartphones und damit verbundenem vermehrten mobilen Zugriff auf Online-Fragebogen ist es unerlässlich, dass diese auch für den mobilen Zugriff optimiert sind. Die Darstellung der Fragen wird bei einem responsiven Design in der Regel an den Bildschirm individuell angepasst. Beispielsweise werden Matrixfragen nicht in horizontal tabellarischer Form, sondern vertikal untereinander als einzelne Fragen angezeigt.

Um dem vermehrten mobilen Zugriff auf Online-Befragungen Rechnung zu tragen, setzen wir für die implizite Reaktionszeitmessung eine mobil optimierte Variante ein, welche mittels „swipe-to-like“, also dem Wischen nach links oder rechts, die verschiedenen Stimuli zuordnet.

Dieser „swipe-to-like“-Fragetyp wird in der vorliegenden Untersuchung der tastenbasierten und für den Desktop/Laptop-PC optimierten Reaktionszeitmessung gegenübergestellt (siehe Abbildung 1), dabei werden mobil über ein Smartphone und stationär über einen PC zugreifende Testpersonen miteinander verglichen.

Untersucht werden dabei die folgenden Hypothesen:

Erwartet wird, dass sich der neue „swipe-to-like“-Fragetyp ebenso gut wie die tastenbasierte Variante zur impliziten Reaktionszeitmessung eignet.
Es ist weiter zu erwarten, dass sich der „swipe-to-like“-Fragetyp besser für eine Bearbeitung auf mobilen Geräten eignet. Im Umkehrschluss ist zu erwarten, dass der „swipe-to-like“-Fragetyp für eine Bearbeitung auf Desktop/Laptop weniger gut geeignet ist.

Schließlich wird vermutet, dass sich auch altersbedingte Effekte zeigen, da Jüngere im Umgang mit der „swipe-to-like“-Technik mutmaßlich über mehr Erfahrung verfügen.

Zur Gegenüberstellung der tastenbasierten Reaktionszeitmessung (im Folgenden mit „Taste“ abgekürzt) und der „swipe-to-like“-Variante (im Folgenden mit „Swipe“ abgekürzt) wurden jeweils entsprechende Pendants für diese Studie entwickelt. Bei diesen Pendants ersetzen das Antippen des Bildschirms („Taste“) und Wischbewegungen mit der Maus („Swipe“) die entsprechenden ursprünglichen Aktionen. Die TeilnehmerInnen wurden den beiden Bedingungen, also „Taste“ und „Swipe“ zufällig zugeordnet, unabhängig davon, ob sie über einen Desktop/Laptop oder ein Smartphone auf die Befragung zugriffen. Entsprechend ergeben sich vier Vergleichsgruppen, nämlich „Taste“-Desktop, „Taste“-Mobil, „Swipe“-Desktop und „Swipe“-Mobil.

Alle BefragungsteilnehmerInnen hatten die Aufgabe, 40 Markenlogos dahingehend zu bewerten, ob sie ihnen bekannt sind oder nicht. In diesem Set befanden sich 35 überwiegend bekannte Logos großer Unternehmen und fünf erfundene Logos fiktiver Marken (siehe Abbildung 3). Vorangestellt erhielten die BefragungsteilnehmerInnen eine entsprechende Instruktion und sollten sich durch eine Übung mit drei Testlogos mit der Aufgabe vertraut machen.

Ergebnisse der zufälligen Zuordnung der Personen auf die Bedingungen

Die Auswahl der BefragungsteilnehmerInnen erfolgte durch eine mehrfach-geschichtete Zufallsstichprobenziehung aus dem OmniQuest-Onlinepanel. Insgesamt nahmen 1.009 Personen im Zeitraum vom 22.08. bis zum 29.08.2019 an der Befragung teil, davon 53 Prozent Frauen und 47 Prozent Männer. Rund ein Drittel der Befragten (31%) war jünger als 40 Jahre, 36 Prozent hatten ein Alter von 40 bis 59 Jahre und 33 Prozent waren älter als 60 Jahre. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit der gesamten Befragung lag bei 176 Sekunden, also knapp drei Minuten (M = 175.66, SD = 261.44).

Eine Mehrheit von 59 Prozent bearbeitete die Befragung auf einem Desktop/Laptop, 41 Prozent antwortete von einem mobilen Gerät, wie Abbildung 4 zeigt.

Durch die zufällige Verteilung der BefragungsteilnehmerInnen der verschiedenen Zugriffsarten auf die Bedingungen „Taste“ und „Swipe“ unterschied sich die Verteilung von Alter und Geschlecht in den Gruppen nur gering.

Mittlere Bearbeitungszeiten in Sekunden

Für die Auswertung wurden die Bearbeitungszeit und die Antwortqualität als Kennzahlen betrachtet. Die Bearbeitungszeit ist dabei die Zeit in Sekunden, die die BefragungsteilnehmerInnen für die Bewertung der 40 Markenlogos insgesamt benötigt haben (siehe Abbildung 5). Die Antwortqualität wurde dichotom berechnet. Wer nur weniger als zehn Markenlogos und/oder mindestens ein fiktives Logo mit „kenne ich“ beantwortet hat, wird der Gruppe „Niedrigere Qualität“ zugeordnet.

Die durchschnittliche Bearbeitungszeit bei „swipe-to-like“ ist signifikant niedriger als bei der tastenbasierten Durchführung (t(1007) = 1.97, p = .049). Bei der Antwortqualität findet sich zwischen den beiden Methoden kein signifikanter Unterschied.

In der mittleren Bearbeitungszeit unterscheiden sich die vier Bedingungen trotz deskriptiver Unterschiede (siehe Abbildung 5) nicht signifikant voneinander. Bei der Antwortqualität findet sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied beim Vergleich der Häufigkeiten.

Verteilung der Antwortqualität

Zur Überprüfung altersbedingter Effekte wurde die gesamte Stichprobe anhand des Alters fast hälftig in zwei Gruppen, d.h. in über und unter 50 Jahre, eingeteilt. Die mittleren Bearbeitungszeiten unterscheiden sich in der Gruppe der unter 50-Jährigen nicht signifikant voneinander. Deskriptiv zeigt sich, dass jeweils die TeilnehmerInnen mit mobilem Zugriff bzw. der „Swipe“-Bedingung eine kürzere Bearbeitungszeit aufweisen (siehe Abbildung 6). Bei der Gruppe der über 50-Jährigen dagegen findet sich varianzanalytisch ein signifikanter Unterschied (F(3, 514) = 12.40, p < .000). Im Post-Hoc-Test zeigt sich, dass der Mittelwert der Bedingung „Taste“ signifikant von allen anderen Mittelwerten (M=81,07) unterscheidet.

Mittlere Bearbeitungszeiten in Sekunden im Altersvergleich

Bei der Antwortqualität finden sich bei den unter 50-Jährigen zwischen den Gruppen Desktop vs. Mobil keine signifikanten Unterschiede, deskriptiv ist die Antwortqualität bei der Bedingung „Swipe“ mit einem Zugriff über Desktop/Laptop am niedrigsten.

Verteilung der Antwortqualität im Altersvergleich

Bei den über 50-Jährigen weisen die Gruppen mit mobilen Zugriff, unabhängig ob „Taste“ oder „Swipe“, die niedrigste Antwortqualität auf. D.h., dass in diesen Gruppen der Anteil der Personen mit niedrigerer Antwortqualität signifikant höher ist als erwartet. (χ 2 (3, N = 518) = 6.29, p < .01).

Die Ergebnisse zeigen, dass sich der „swipe-to-like“-Fragetyp ausreichend gut zur impliziten Reaktionszeitmessung eignet. Auch wenn die Bearbeitungszeit signifikant kürzer ist, so geht dies nicht signifikant zulasten der Antwortqualität. Im Vergleich der beiden Fragevarianten unter Betrachtung der Arten des Zugriffs zeigt sich bei der Bearbeitungszeit zumindest deskriptiv, dass sich „swipe-to-like“ besser bei mobilen Geräten und die tastenbasierte Variante besser bei Desktop/Laptop-Zugriffen eignet. Die Qualität der Antworten weist nur geringe Unterschiede auf, die tastenbasierte Reaktionszeitmessung schneidet hier am besten ab. Jüngere BefragungsteilnehmerInnen zeigen in Bezug auf die mittlere Bearbeitungszeit keine Unterschiede zwischen den Zugriffsarten, allerdings ist die Bearbeitungszeit bei „swipe-to-like“ signifikant kürzer. Bei der Antwortqualität schneiden in erwarteter Weise bei mobilem Zugriff „swipe-to-like“ und bei Desktop/Laptop-Zugriff „tastenbasiert“ etwas besser ab, auch wenn diese Unterschiede nicht signifikant sind. In der Gruppe der älteren BefragungsteilnehmerInnen ist nur die Bearbeitungszeit in der tastenbasierten Bedingung bei mobilem Zugriff signifikant länger. Die Antwortqualität wiederum ist im mobilen Zugriff schlechter als beim Zugriff über den Desktop/Laptop, unabhängig von der Fragevariante.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass der „swipe-to-like“-Fragetyp insbesondere für mobile Zielgruppen eine sehr gute Alternative zur tastenbasierten Variante darstellt. Für die Bearbeitung auf einem Desktop/Laptop-PC dagegen ist „swipe-to-like“ nur eingeschränkt geeignet. Es ist daher zu empfehlen, bei Onlinebefragungen beide Varianten parallel und zugeschnitten auf die jeweilige Zugriffsart zu implementieren und zu verwenden. Diese individuelle Berücksichtigung der Art des Zugriffs ist bei älteren BefragungsteilnehmerInnen noch bedeutsamer, da eine „nicht passende“ Fragenvariante bei dieser Gruppe größere Auswirkungen hat als bei jüngeren BefragungsteilnehmerInnen.

Aufgrund der Ungewöhnlichkeit und des spielerischen Charakters von „swipe-to-like“ ist anzunehmen, dass diese Variante der Reaktionszeitmessung auf die Motivation einen positiven Einfluss haben könnte. Dies fand in dieser Studie keine Berücksichtigung, ließe sich allerdings ausgehend davon ebenfalls zukünftig untersuchen und könnte die Bedeutung von „swipe-to-like“ für die implizite Reaktionszeitmessung noch weiter erhöhen.

Online implizite bzw. unterbewusste Reaktionen auf Medieninhalte reliabel messen

Mit impliziten Methoden können in der Marktforschung unbewusste, spontane oder intuitive Wahrnehmungen und Reaktionen reliabel gemessen werden. Häufig werden diese impliziten Methoden zum Messen unbewusster Assoziationen mit Produkten, Marken, Produktkonzepten oder auch Werbemitteln eingesetzt. Anders als bei konventionellen Fragebögen mit direkten (expliziten) Verfahren, bei denen sehr durchdachte und bewusste Antworten erfasst werden, bieten implizite Messverfahren die Möglichkeit, tiefere, unbewusste und nicht verbalisierbare Einstellungen valide zu messen.

Über die Autoren

Maximilian Ponert

Maximilian Ponert

CAWI Projektleiter

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